Lexikon Reichelsheim (Odenwald)

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  Großer Stein, Teufelsstein

Im oberen Teil des Krautwegs, linker Hand der Straße, ungefähr dort, wo heute der Kinderspielplatz, der Parkplatz „Am Großen Stein" und der 1964 errichtete gemeindliche Wasserhochbehälter zu finden sind, ragte der „Große Stein" aus dem Erdboden. Bei ihm stießen die Fluren 10, 11 und 12 zusammen. Der Stein hatte von jeher eine vielbeachtete Größe. Der auf breiter Sohle sich erhebende Felsen war nach Überlieferungen zwischen anderthalb Stockwerken und 20 Meter hoch und bildete einen natürlichen Aussichtspunkt. Er bestand aus hellem Barytquarz mit einzelnen weicheren Stellen. Lagen diese Stellen nach außen, wiesen sie durch Verwitterung entstandene rundliche Vertiefungen auf, die das Ersteigen des Blocks möglich machten.

Jugendliche Holzleser und Beerensammler trieben auf dem vorgelagerten Fuß des mächtigen Steingebildes gerne allerlei Kurzweil, indem sie auf dem Stein herum kletterten. Auf dem Heimweg war hier der erste Ruheplatz, wo die Trage abgestellt wurde, um sich ein Weilchen zu vergnügen. Aber auch Wanderer und die Gottesdienstbesucher, die von Ober-Ostern kommend den Krautweg als Kirchenpfad nutzten, konnten den Felsen als Aussichtsturm ersteigen.

Das Grundstück gehörte zum Gasthaus „Zur Goldenen Krone". Nach Auskunft des letzten Kronen-Wirts, Heinz Gärtner, ließ dessen Großvater den Felsen im Jahr 1899 sprengen. Der Koloss lieferte 90 m³ (nach anderen Aussagen 200 bis 300 m³) brauchbare Mauersteine. Diese wurden bei der Vergrößerung der Friedhofsmauer in der Laudenauer Straße verwendet und sind dort noch heute zu sehen. Auch das Gebäude des ehemaligen Amtsgerichts in der Bismarckstraße 43, heute Gemeindeverwaltung, wurde mit diesen Steinen errichtet. An den Felsen selbst erinnern mittlerweile nur noch der Name des Parkplatzes und die daunter abzweigende Ortsstraße „Am Großen Stein". Eine bildliche Darstellung existiert nicht. Im Untergrund der Umgebung sind noch heute solche Steine zu finden. Beim Bau des Hochbehälters wurden weitere Barytquarzsteine entdeckt, wohl Reste des großen Steins. Die Bau ausführende Firma verkaufte sie und konnte damit ihr wenig lukratives Geschäft mit dem Hochbehälter merklich verbessern. In den 1970er-Jahren wurden einige von ihnen aus den umliegenden Grundstücken geholt und verkauft. Auch beim Bau des Hauses Am Großen Stein 2 mussten Steine dieser Art gesprengt werden, um das Kellergeschoss ausheben zu können.

Der Steinriese wurde auch Teufelsstein genannt, weil der Sage nach der Teufel einst ein braves Mädchen bis auf die Spitze verfolgte, das sich vor ihm dorthin geflüchtet hatte. Von dort entzog sie sich durch einen kühnen Sprung seinen Klauen. Die tiefen runden Löcher an der Felswand sind nichts anderes, als die Abdrücke von des Bösen scharfkantigem Pferdefuß. Solange der Stein noch stand, erinnerten sie immer wieder an diese Geschichte. Und selbst als der Stein nicht mehr stand, war der Ausdruck "Ich gäi zum Deiwelstao" über Jahrzehnte hinweg ein gängiger Ausdruck, um mitzuteilen, dass man beabsichtigte zum oberen Teil des Krautwegs zu gehen.

 

 

Verantwortlicher Autor:
[Kalberlah, Wolfgang A. W.]